Tantrische Räume, besonders wenn sie mit Elementen von Macht, Hingabe, Fesselung oder Rollenspielen arbeiten, wirken wie ein Vergrößerungsglas für das, was im Verborgenen liegt.
Sie holen jene Anteile ans Licht, die wir im Alltag oft überdecken: die Angst, Kontrolle zu verlieren, das Bedürfnis, gesehen zu werden, den Schmerz, nicht zu genügen.
In der Trauma-Sensiblen Arbeit, wie sie etwa Dami Scharf beschreibt gilt:
„Alles, was auftaucht, darf erst einmal da sein.“
Wir müssen nichts wegdrücken, nichts „überwinden“.
Denn Druck erzeugt Gegendruck und was wir zu schnell loswerden wollen, verankert sich nur tiefer. Wenn wir stattdessen lernen mit dem, was da ist, zu sein:
Achtsam, langsam, im Kontakt mit unserem Körper, kann sich etwas grundlegend verändern.
Angst darf Angst sein, Scham darf sich zeigen, Wut darf spürbar werden.
Mitten in diesem Sein beginnt etwas zu schmelzen.
Tantra, insbesondere in Verbindung mit BDSM, öffnet hierfür ein Erfahrungsfeld, in dem wir unsere Schatten nicht theoretisch, sondern körperlich, energetisch und emotional erforschen können.
Wenn wir uns erlauben, in einem geschützten Rahmen neue Rollen einzunehmen, Grenzen zu spüren und vielleicht auch einmal darüber hinauszugehen, dann begegnen wir den inneren „Dämonen“, von denen Tsültrim Allione spricht:
jenen Kräften in uns, die nach Aufmerksamkeit und Liebe hungern.
Anstatt sie zu bekämpfen, lernen wir sie mit Bewusstsein und Zuwendung zu nähren.
Genau in diesem Moment entsteht Wandlung:
Das, was uns einst lähmte, verwandelt sich in Energie, in Kraft, in Lebendigkeit.
Das, was wir gefürchtet haben, wird zum Tor in unser Herz
Hingabe als Heilungsweg
Wenn wir uns erlauben, den Widerstand zu lösen und bewusst hinzugeben, entsteht Regulation. Das Nervensystem findet Halt, die Atmung wird tiefer, der Körper erinnert sich an Vertrauen.
In diesen Momenten kann sich etwas Altes lösen – nicht durch Willenskraft, sondern durch Präsenz.
Hingabe ist kein Nachgeben, sie ist eine Wahl.
Eine Entscheidung, in Kontakt zu bleiben, mit uns selbst, mit dem Gegenüber, mit dem Leben.
Gerade in tantrischen oder BDSM-Ritualen kann diese Form der Hingabe zur Heilung werden:
weil sie uns erlaubt, uns zu zeigen, zu fühlen und gehalten zu werden – jenseits von Kontrolle.
So entsteht der Weg, den auch die alten Inka-Weisheiten als heiligen Teilungsweg verstanden:
Ein Weg, auf dem wir das, was in uns lebt, mit dem Leben teilen. Wir öffnen unser Inneres, lassen uns berühren, sichtbar werden.
Indem wir uns teilen, beginnt Heilung – weil sich das Getrennte erinnert, dass es längst Teil eines großen Ganzen ist.
Im Sinne des Inka-Prinzips Ayni – der heiligen Gegenseitigkeit, wird Hingabe zu einem Geben und Empfangen zugleich.
Das, was wir schenken, kehrt zu uns zurück. Gewandelt, gereinigt und genährt.
So entsteht jener heilige Kreislauf, in dem Liebe, Bewusstsein und Energie frei fließen.
Verschmelzung – das göttliche Prinzip
Aus dieser bewussten Hingabe kann schließlich Verschmelzung erwachsen, nicht als romantische Illusion, sondern als tiefe Erfahrung der Einheit.
Wir lösen uns nicht auf, sondern werden weit. Wir erfahren uns als Teil eines größeren Ganzen: Verbunden, gehalten, göttlich.
In der tantrischen Sicht ist Verschmelzung kein Ziel, sondern ein Zustand des Seins. Sie geschieht, wenn Dominanz und Hingabe, Aktivität und Empfänglichkeit, Dunkelheit und Licht ineinanderfließen. Wenn wir unsere Schatten integriert, unsere Grenzen geehrt und unser Herz geöffnet haben dann wird die Verschmelzung zum natürlichen Ausdruck unserer Seele.
Genau dieses Feld durften wir im Retreat „Verschmelzung & Macht“ erforschen:
Wie sich Macht und Liebe gegenseitig durchdringen, wie Führung und Hingabe einander bedingen und wie in der Tiefe beider Pole derselbe göttliche Impuls wohnt: die Sehnsucht nach Einheit.
Dort, wo wir uns trauen, Macht nicht zu missbrauchen, sondern zu halten und Hingabe nicht zu verlieren, sondern zu verkörpern entsteht jene magische Kraft, in der sich Himmel und Erde berühren.
So wird Hingabe zum Heilungsweg, und Verschmelzung zur Krönung:
Ein Moment, in dem Macht sich in Liebe wandelt und wir erkennen, dass es nie zwei gab, sondern immer nur das Eine, dass sich selbst begegnet.